Warum ist ein solches Schulprojekt nötig?

Bildung in Thailand

Im Norden von Thailand, im "Goldenen Dreieck", dem Grenzgebiet zu Burma, leben etwa 500.000 sogenannte Bergvölker unterschiedlichster Stämme, die alle ursprünglich Nomaden sind. Diese Minoritäten sind die ärmsten Einwohner des Landes. Ihre Siedlungen und ihre Lebensumstände in oft schwer zugänglichen Berg- und Dschungelgebieten mögen für Touristen Reize besitzen, mit einem menschenwürdigen Dasein haben sie jedoch nichts zu tun.

Der Thailändische Staat sieht sich auf Grund des internationalen Drucks zwar seit einigen Jahren gezwungen, sich in Ansätzen um diese benachteiligte Bevölkerungsgruppe zu kümmern um somit etwas gegen den Drogenanbau und -transport zu unternehmen, da dieser nach wie vor eine wesentliche Einnahmequelle für die Bergvölker darstellt, doch sind diese staatlichen Aktionen nicht mehr als Makulatur. Von den Thais werden die Angehörigen der Bergstämme als Menschen 2. Klasse angesehen und entsprechend behandelt. Wie immer in solchen Situationen sind die Kinder dieser Menschen die Leidtragendsten. Ihre Zukunftsaussichten sind katastrophal. Ohne Aussicht auf Bildung bleibt ihnen häufig nur der Weg zu Alkohol, Drogen oder Prostitution. Die früher vorhandenen Möglichkeiten eines traditionellen Lebens sind weitestgehend zerstört, da durch rasantes Bevölkerungswachstum die ohnehin schon sehr begrenzten Anbauflächen nicht mehr ausreichen, um Nahrung für die neue Generation zu erwirtschaften. Erschließung neuer Flächen bedeutet massive Umweltzerstörung und ist strafbar.

Wenn nicht noch der letzte Baum gefällt und das letzte Tier erjagt werden soll, können wir nur den Kindern eine Chance geben.

Der IST-Zustand

Aus unserer Sicht ist Vermittlung von Bildung der einzig richtige und wirklich nachhaltige Weg. Es gibt seit einigen Jahren, meist in Eigenregie der Bergstämme organisierte "Wohnprojekte" in der Nähe von Thaischulen, durch die einigen Kindern ein Schulbesuch ermöglicht wird. Hierbei gibt es gravierende Probleme: Die "Wohnprojekte" werden von geschäftstüchtigen Familien betrieben und nur wer die Gebühren aufbringt, kann seine Kinder dort wohnen lassen. Da die Einnahmen der Betreiber nicht ausreichen, wird an allem gespart.

So gleichen diese Objekte Slumunterkünften in katastrophalsten Zuständen und die Verpflegung besteht nicht aus viel mehr als trockenem Reis.

Küche/Aufenthaltsraum/Speiseraum

Dutzende Kinder müssen dichtgedrängt auf dem Boden baufälliger Bretterbuden oder Bambushütten schlafen, die sanitären Einrichtungen verdienen nicht die Bezeichnung als solche, soziale oder gar pädagogische Zuwendung und Hilfe sind nicht im geringsten gegeben und die Freizeitmöglichkeiten sind auf Fernsehen beschränkt.

WC/Dusche/Schlafraum

Ein weiteres Problem ist die "Schule". Entsteht in der Nähe einer Thaischule ein "Wohnheim", meist sind es immer gleich mehrere mit einigen Hundert Kindern, dauert es nicht lange und die Thais schicken ihre Kinder auf andere Schulen, was zur Folge hat, dass der Lehrer oft der Einzige ist, der in der Klasse Thai spricht. Ein Interesse, seinen Schülern wirklich Wissen zu vermitteln, konnten wir bei unseren Recherchen bei keinem der Lehrer feststellen, was am thailändischen Schulsystem an sich liegen mag.

Die UNESCO bewertet dieses mit "nicht ausreichend und mangelhaft", sieht zwar einige geringfügige Fortschritte, doch überwiegen die gravierenden Mängel, die im krassen Gegensatz zum Anspruch des Thailändischen Staates stehen, sich weltweit als ein modernes High-Tech-Land zu positionieren. Bei rund acht Prozent der Erwachsenen im Alter über 15, so die UNESCO, sind die Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben unzureichend. Bei diesen drei Millionen Thais, davon sind zwei Millionen Mädchen und Frauen, scheitert eine Verbesserung der Lebensumstände bzw. des Einkommens an der fehlenden Bildung. Die UN-Studie bemängelt weiter den Bildungsstand der Schüler. 37 Prozent der 15-jährigen können nicht ausreichend lesen, 40 Prozent der Mädchen und Jungen haben erhebliche Wissenslücken im Fach Mathematik. Die UNESCO hatte im Jahr 2000 eine Kampagne "Education For All", also Ausbildung für alle, propagiert und Bildungsstandards festgelegt: zu den Zielen zählen der Besuch von Grund- und Hauptschulen, die Gleichstellung der Geschlechter, ein qualifiziertes Ausbildungssystem und staatliche Unterstützung bei der Ausbildung. Jahre später muss die UN-Organisation feststellen, dass in Thailand immer noch eine Million Kinder nicht in Schulen unterrichtet werden. Denn Thailand zählt neben China, Indonesien, Laos, Vietnam und den Philippinen zu den 89 von weltweit 103 untersuchten Staaten, in denen weiterhin der Besuch einer Grundschule nicht kostenfrei ist. Die staatlichen Lehranstalten erheben zwar kein Schulgeld, doch die Eltern müssen für Schuluniform, Sportbekleidung, Essen sowie für Bücher und Schreibmaterialien aufkommen. Und Familien, die in bitterer Armut leben, können das Geld nicht aufbringen und trotzen der Schulpflicht. Dies trifft in vollem Umfang auf die Bergvölker zu.



Der seit mehreren Jahrzehnten in Thailand lebende Entwicklungshelfer und Autor zahlreicher Bücher und Artikel über Thailand, Günther Ruffert, schätzt die Situation wie folgt ein:

„Das Schulsystem in jedem Land ist ein Teil des Gesellschaftssystems. Es spiegelt die Wertevorstellungen der Gesellschaft - in autoritären Systemen oft auch die Ideologie der herrschenden Partei - wider und vermittelt sie an die Kinder. Es ist eine Tatsache, dass das Schulsystem in Thailand schwerfällig und uneffektiv ist, und das ist sicherlich auch der Grund für die Schwerfälligkeit der meisten öffentlichen Institutionen wie Behörden oder Banken. ...

Das Lernen in der Schule ist ganz auf das sture Auswendiglernen von dem was in den Lehrbüchern steht beschränkt. Die Schüler sind es gewohnt, nur Informationen aufzunehmen. Traditionell sind die Schüler aufs 'Kopieren' ausgerichtet. Der Lehrer schreibt etwas an die Tafel und die Kinder kopieren es ab, ohne zu verstehen um was es sich handelt. Systematisches, analytisches Denken und kritikfreudiges Herangehen an die Lösung von Problemen, wie deutsche Schüler es lernen, sind in den meisten thailändischen Schulen unbekannte Dinge. Die Schüler kommen auch gar nicht auf den Gedanken, dass es für viele Fragen und Probleme nicht nur ein "Falsch" oder "Richtig", sondern auch ein "Sowohl-als-auch" gibt.

Der Schüler wird auch nicht dazu ermuntert, Fragen zu stellen wenn er etwas nicht versteht. Es steht ihm sogar nicht zu, Fragen zu stellen, weil er eben nur ein Schüler ist. Bescheidenheit und Zurückhaltung, Tugenden mit hoher Wertschätzung in Thailand, sind teilweise hierfür verantwortlich. Thais werden dazu erzogen, sich nicht in den Mittelpunkt zu stellen, vor allem dann nicht, wenn es bei der anderen, höher gestellten Person Gesichtsverlust verursachen könnte. Können Kinder an den westlichen Schulen dem Lehrer sagen, das hab ich nicht verstanden, so ist das in Thailand aus mehreren Gründen nicht möglich.

1. der Schüler dokumentiert seine eigene Unfähigkeit, und macht sich zum Gespött seiner Mitschüler.

2. die Autorität des Lehrers wird in Frage gestellt. Es steht dem Schüler nicht zu, diese Frage zu stellen, weil er eben nur ein Schüler ist.

3. Von einem Lehrer, dessen Autorität in Frage gestellt wird, wird auch ein hartes Abwehrverhalten erwartet. Kommt dies nicht, verliert der Lehrer sein Gesicht und jeden Respekt der Schüler.

Es wird auch keine Zeit darauf verwendet, den Schülern beizubringen selbständig nach Problemlösungen zu suchen oder wie sie an Informationen kommen die nicht in ihren Lehrbüchern stehen. Sie haben auch keine Chance, sich außerhalb der Schule über irgend etwas zu informieren. Das Fernsehen versagt in dieser Beziehung völlig und Zeitungen liest auch niemand. Wenn etwas gelesen wird, dann sind es Comic-Heftchen.

Die für die Erziehung in Thailand maßgebenden Leute haben zwar erkannt, dass eine grundlegende Änderung der Lehrinhalte und Lehrmethoden erforderlich ist, um nicht den Anschluß an die Entwicklung der Weltwirtschaft zu verlieren und man hofft mit Hilfe westlicher Methoden und Lehrbücher Initiative und Leistungswillen bei den Kindern zu steigern. Gleichzeitig versucht man aber, durch Betonung der Besonderheiten und der traditionellen Eigenarten siamesischer Kultur die erzieherischen Werte der "Geordnetheit", des "angemessenen Platzes" und der "vertikalen Bindungen" zu erhalten. Dieses Dilemma bleibt aber unlösbar, solange man beides will: Submission sowie produktive Leistung. Man hat als Farang (Ausländer) oft den Eindruck, dass die Thais sich bei der Anpassung ihres Schulsystems mit ihrer eigenen Tradition und Kultur im Wege stehen.

Bei den Plänen zur Schulreform ist auch der abzusehende Widerstand der Bürokratie und der Lehrerschaft kaum berücksichtigt worden. Nirgendwo auf der Welt kann man absolute Autoritäten, wie es die Lehrer in der Thai-Gesellschaft sind, davon überzeugen, dass sie auf dem falschen Dampfer sind. Die Schulreform muss bei der Lehrerausbildung beginnen. Dieser Prozeß kann in einer Generation aber nur eingeleitet werden. …

Charakteristisch für die Probleme des Schulsystems in Thailand ist z. B. der Englischunterricht. So haben selbst die Grundschüler in Dorfschulen mindestens 6 Jahre Englischunterricht, ohne danach in der Lage zu sein, einen einzigen Satz in Englisch selbst zu formulieren. Dafür gibt es natürlich seine Gründe.

Das Gehalt der Lehrer - ein Lehrer, der tatsächlich genug Englisch kann und schlau ist, geht nach Bangkok, weil er dort als Übersetzer locker das dreifache verdienen kann.

Das Können der Lehrer - da die meisten Lehrer selbst kaum der englischen Sprache mächtig sind, beschränken sie sich darauf, die Kinder ganze Seiten der Lehrbücher kopieren zu lassen, ohne dass diese eine Chance haben den Inhalt zu verstehen

Das Lernen zu Hause - für die Kinder gibt es beispielsweise gar keinen Platz, um Hausaufgaben halbwegs ordentlich zu machen. Kaum eine Familie besitzt einen Tisch, wo man sich mal länger konzentriert hinsetzen kann, und niemand in der Familie ist in der Lage die Hausaufgaben zu kontrollieren.

Nach dem Schulabschluss gibt es in Thailand keine geregelte Berufsausbildung, wie wir sie bei uns kennen. Also eine Lehre in einem Betrieb/Handwerk, mit gleichzeitiger Berufsschulausbildung. Kleine Betriebe lernen die Arbeiter soweit an, dass eine Beschäftigung möglich ist. Größere Firmen bilden junge Leute begrenzt für ein bis zwei im eigenen Betrieb zu erfüllende Arbeitsvorgänge aus.“



Hier ein aktueller Bericht aus der Bangkok Post vom Juli 2010:

Im thailändischen Bildungsministerium ist man um die Qualität der Schulbildung besorgt. Bei einer Studie, in der Lehrer erstmalig an den Prüfungen von Fächern teilnehmen mussten, die sie selbst unterrichten, kamen erschreckende Ergebnisse zu Tage. Die Mehrheit der Lehrer in der Oberstufe fiel in ihren eigenen Fächern durch - in der Mittelstufe war das Resultat ähnlich schlecht. In der Unterstufe sah es ein wenig besser aus. Der Test wurde von der Kommission für Basisbildung (OBEC) durchgeführt und ist mit dem PISA Test vergleichbar. Eine Leistung unter 59% bei diesem Test gilt als mangelhaft. So scheiterten bis zu 88% von insgesamt 3973 Lehrern in Informatik, 86% von 2846 in Biologie, 84% von 5498 Lehrern in Mathematik, 71% von 3467 in Physik und 64% von 3088 teilnehmenden Lehrern in Chemie. In Erdkunde und Astronomie fielen 63% von 529 Lehrern durch. Rektoren machten bei dem Test ebenfalls mit. 95% von 40.000 Teilnehmern schafften die Prüfungen in Englisch und Informatik nicht, obwohl die meisten von ihnen einen Universitätsabschluss haben. Sicherheitshalber wurde geheim gehalten, wie schlecht die Direktoren und Schulleiter abschlossen: es wurde nur bekannt, dass sie die Tests nicht bestanden. Bildungsminister Chinnaworn Boonyakiat sagte: "Wenn sogar Lehrer versagen, wie können wir dann die Schulbildung für Schüler verbessern?"


Nach einer aktuellen Studie der Rangsit Universität, sie gehört mit 17.000 thailändischen und ausländischen Studierenden zu den wichtigsten privaten Universitäten in Thailand, kommen zwischen 1,7 und 2 Millionen Kinder im Alter zwischen 3 und 17 Jahren nicht in den Genuss einer ausreichenden Schulbildung.

Oft sind es finanzielle Probleme, Auseinandersetzungen innerhalb der Familien, gesundheitliche Einschränkungen oder auch der Druck von Schulen, die Schüler mit schlechten Leistungen loszuwerden, welche es den Kindern nur teilweise oder gar nicht erlauben, ausreichende Schuljahre zu erhalten, so die Studie. Die Zukunft dieser Kinder ist vorgezeichnet; mangelnde berufliche Ausbildung ist oft Ursache für Arbeitslosigkeit, bis hin zur Kriminalität oder Drogenabhängigkeit.

Insgesamt also katastrophale Zustände deren Auswirkungen in vollem Umfang erst noch zutage treten werden, wenn immer mehr junge Menschen ohne Bildung in bitterer Armut versinken.

In einer Gesellschaft, die sich ein Bildungssystem geschaffen hat, mit dem nicht denkende sondern gehorchende, gut manipulierbare Untertanen herangezogen werden, wird es eine Veränderung im positivem Sinne von Innen heraus kaum geben. Menschen, die nie gelernt haben, ja denen es sogar verboten ist Fragen zu stellen, deren selbständiges Begreifen und Handeln unerwünscht und die nur zu Obrigkeitsdenken und bedingungslosem Gehorsam erzogen wurden, von denen nicht erwartet wird, dass sie denken sondern nur, dass sie funktionieren, haben kaum eine Chance aus ihren verzweifelten Lebensumständen zu entkommen und sich ein menschenwürdiges Dasein aufzubauen.

Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, diesen unterdrückten Menschen zu helfen und werden in einem abgelegenen Bezirk im Norden Thailands die 1. Denklernschule des Landes aufbauen.


Kontakt: kontakt@schulprojekt-nordthailand.de

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